Darf ein Bismarckplatz umbenannt werden?
Der Forderung nach einer Umbenennung des Bismarckplatzes in Betty-Rosenfeld-Platz wird immer wieder entgegengehalten, dies würde einen bedeutenden deutschen Politiker aus der öffentlichen Erinnerung drängen. Dies sei unangemessen, angesichts der historischen Leistung des «Eisernen Kanzlers», «Gründers des Deutschen Reiches», Erfinders der Sozialversicherungen. Forderungen nach einer Umbenennung würden vom «Standpunkt [gestellt], diese Personen gehören dann auch auf den Müllplatz der Geschichte, jedenfalls verdienen sie keine ‹Ehrung› durch Straßen-Namen, Pläne, Standbilder». Man könne nicht das «öffentliche Erscheinungsbild unserer Städte, die eben auch ein Abbild der kulturellen und politischen Entwicklung des Landes und seines Gedächtnisses sind, zu klinisch sterilen, eindimensionalen, nachgerade einfarbigen Orten machen».0)
Dazu einige Bemerkungen.
Übermäßig viel Bismarck im Stadtbild
Zunächst kann nicht davon gesprochen werden, eine Stadt klinisch von Bismarck gesäubert zu haben, wenn weiterhin unmittelbar vom besagten Platz die Bismarckstraße abgeht, am Platz selbst ein Bismarckhaus steht, eine Bismarckstaffel lichten Höhen entgegenstrebt sowie über allem der, wenn auch nicht zu Stuttgart-West gehörende, Bismarckturm thront, der auch noch über die Bismarckschule in Feuerbach wacht. Zumal den Bismarck-FreundInnen der Trost bleibt, an manchen Markttagen auf diesem Platz weiterhin einen gleichnamigen Clupea harengus erwerben zu können. Die Präsenz des hinterpommerschen Grafen in Stuttgart wäre somit eher auf ein angemesseneres Maß gebracht.
Auch geht es keineswegs darum, Bismarck aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden zu lassen, im Gegenteil: Es gibt gute Gründe ihn genau dort zu behalten, allerdings mit einem entsprechenden Geschichtsbewußtsein.
So war der ostelbische Junker1) Zeit seines Lebens vor allem darauf bedacht, die Privilegien2) der preußischen adligen Gutsbesitzer zu verteidigen. Am 21. März 1848 eilte er als junger Politiker nach Potsdam. König Friedrich Wilhelm IV. hatte nach Kämpfen seiner Soldaten mit aufständischen Bürgern den Rückzug des Militärs aus Berlin angeordnet, ließ sein Schloß von einer Bürgergarde bewachen, sprach zu seinen «lieben Berlinern» und wollte ansonsten die Situation aussitzen. Bismarck versuchte die Potsdamer Garnison zum Einrücken nach Berlin zu bewegen. Als die Generäle ohne Order des Königs nicht gegen die Revolution losschlagen wollten, versuchte Bismarck vom Oberkommando in Magdeburg eine solche Zusage zu erhalten; der dortige General drohte aber, ihn als Hochverräter verhaften zu lassen. Der traditionell glühende Monarchismus der Junker war bei Bismarck rasch abgekühlt, nachdem ihm sein König als zu weich für die Verteidigung der Privilegien des ostelbischen Landadels erschienen war.
Als Beleg für Bismarcks demokratische Gesinnung wird oftmals das 1867 in Preußen eingeführte allgemeine Wahlrecht genannt. Jedoch bestand für Bismarck das Motiv darin, die konservative hinterpommerische Landbevölkerung bei den Wahlen gegen die Liberalen mobilisieren zu können und weniger in Sympathie für die Demokratie.3)
Bismarcks Gegner und Feinde
Bismarcks politische Gegner waren die Liberalen und Demokraten (heute könnte man sagen CDU/CSU/FDP). Jedoch wurden sie nicht nur von ihm bekämpft, sondern, wenn es um seinen Machterhalt ging, auch politisch in Koalitionen einbezogen. Er selbst beteiligte sich am Aufbau einer reaktionären preußisch-konservativen Partei, die jegliche Bemühungen um einen Staat mit bürgerlicher Verfassung zu verhindern trachtete, nur eine konstitutionelle Monarchie von Gottes Gnaden erschien ihr zugestehbar.
Sein vorrangiger Feind war jedoch die Revolution, die galt es zu vernichten. Das waren für ihn europaweit alle sozialen Bewegungen, radikale Demokraten, nationalrevolutionäre Aufständler. So hatte Bismarck 1870/71 nach der Niederlage Frankreichs keine Probleme, auf Bitten der neuen französischen Regierung viele Kriegsgefangene und den Marshall Mac-Mahon frühzeitig freizulassen, damit diese die Pariser Kommune in einem blutigen Massaker niederschlagen konnten.4) Denn die dünkte Bismarck wie eine Erscheinung aus dem Gruselkabinett politischer Utopien.
Daher war es folgerichtig, daß im Anschluß die beiden einzigen Reichstagsabgeordneten der SPD, August Bebel und Wilhelm Liebknecht, nach deren Sympathiebekundungen für die Pariser Kommune erneut wegen Hochverrats angeklagt wurden. Auf Betreiben Bismarcks kam es zu einer Verurteilung zu zwei Jahren Festungshaft.
Ja, die Sozialdemokratie – er hätte sie gerne erschossen wie einen «Tiger». Selbst 1893, bereits im Ruhestand, konnte Bismarck nicht anders, als über die SPD zu befinden: «Sie sind die Ratten im Land und sollten vertilgt werden».5) Das ging nicht, Verbieten schon. Am 21.10.1878 trat das Erste Sozialistengesetz in Kraft: Sämtliche sozialistischen, sozialdemokratischen, kommunistischen Vereine, Versammlungen, Schriften wurden verboten, ebenso die Gewerkschaften. Lediglich die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten durften ihr Mandat ausüben. Die Sozialdemokraten wurden im Laufe der Zeit trotzdem immer mehr, das Sozialistengesetz vom Grafen daher verlängert und verschärft. Als alles nichts helfen wollte, griff Bismarck neben der Peitsche zum Zuckerbrot. Ab 1883 kam es mit der Krankenversicherung zur ersten reichsweiten Sozialversicherung. Doch auch diese und weitere Sozialversicherungen konnten das Anwachsen der Arbeiterbewegung nicht aufhalten. Die SPD wurde 1890 größte Partei im Kaiserreich. Als Bismarck trotzdem oder gerade deswegen 1890 das wieder einmal auslaufende Sozialistengesetz verlängern und verschärfen wollte, kam es zum Konflikt mit Kaiser Wilhelm II., der es zu Anfang seiner Regentschaft eher mit dem Zuckerbrot versuchen wollte. In der Folge tritt Bismarck ab.
Sozialistengesetze und Sozialversicherung
Heute werden Sozialistengesetze und Sozialversicherung oft in einem Atemzug genannt, als wären sie zwei Seiten einer Medaille. Das ist falsch, denn das Eine (Sozialversicherung) kam erst, als das Andere (die Repression) nicht greifen wollte.
War Bismarck wie oft lobend betont der geniale Stratege, der über drei Kriege die Gründung des Deutschen Reiches anstrebte? Vielleicht. Vielleicht war er auch nur ein Opportunist und geschickter Taktiker. «Der Mensch kann den Strom der Zeit nicht schaffen und nicht lenken, sondern nur auf ihm fahren und steuern, um mit mehr oder weniger Erfahrung und Geschick den Schiffbruch zu vermeiden», so Bismarck selbst.
Die Emser Depesche
Gesteuert hat er auf jeden Fall im Vorfeld des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 auf diesen zu. Ohne einen solchen Krieg, so war er der Meinung, würde es nie zu einer deutschen Vereinigung hin zum Kaiserreich kommen. Daher hatte er den zögerlichen Wilhelm I. gedrängt, der Annahme des Thrones von Spanien durch ein Mitglied des Hauses Hohenzollern, dessen Vorstand der König war, zuzustimmen. Ein Königshaus sei autonom, sich ein genehmes Oberhaupt selbst zu wählen, so Bismarck zu Wilhelm I. Außerdem würde ein Hohenzollern auf dem spanischen Thron im Falle eines militärischen Konfliktes mit Frankreich einen Teil dessen Heeres an der spanischen Grenze binden. Die Franzosen sahen dies genauso und intervenierten heftig bei Wilhelm I. Prinz Leopold von Hohenzollern verzichtete daraufhin auf die spanische Krone. Der König billigte zwar den Verzicht, wollte aber nicht die von französischer Seite geforderten weitergehenden Garantien auf einen immerwährenden Verzicht der Hohenzollern auf die spanische Krone abgeben. Die sogenannte Emser Depesche, in der Bismarck von diesen Vorgängen in Kenntnis gesetzt wurde, gab dieser der nationalen Presse in einer solch verkürzten Form weiter, daß der Eindruck entstehen mußte, Wilhelm I. hätte das französische Ansinnen in äußerst schroffer Form zurückgewiesen. Die deutschen Nationalen waren entzückt über die vermeintliche Härte ihres Königs; es kam zum Eklat, und Frankreich erklärte Preußen den Krieg. Bismarck hat sein Boot gesteuert.
Als guter Steuermann wurde er natürlich auch von seinem Kapitän belohnt: Ab 1871 avancierte Bismarck zu einem der größten Grundbesitzer Preußens.
Die Liste seines Wirkens ließe sich durchaus um weitere Punkte verlängern, die alle aus heutiger Sicht kein gutes Licht auf den Grafen aus Hinterpommern werfen würden. Es drängt sich auch so schon die Frage auf, braucht der Stuttgarter Westen angesichts des oben beschriebenen reaktionären Handelns einen Bismarckplatz und zudem in bester Lage? Wäre da eine mutig für die Freiheit einstehende ehemalige Bewohnerin aus dem Westen selbst nicht naheliegender: Betty Rosenfeld.
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0) Aus einem Schreiben an die Initiative
1) Als Junker wurden Rittergutsbesitzer in den ländlich geprägten Gebieten Ostelbiens bezeichnet, die meist zum preußischen Adel gehörten. Die alte Adelsfamilie Bismarck besaß zu seiner Kindheit und Jugend in Hinterpommern einige wenige Güter, die mehr schlecht als recht von seinem Vater verwaltet wurden.
2) Jagdrecht, eigene (Patrimonial-)Gerichtsbarkeit, eigenes Erbrecht, Entbindung von der Wehrpflicht, Ernennung von Pfarrern, Polizisten sowie Steuerfreiheit, Zollfreiheit u.a.
3) Bismarck war sich nicht zu schade, um selbst bei Ferdinand Lassalle auszuloten, ob sich auch proletarische Unterschichten für den Kampf gegen die Liberalen mobilisieren lassen könnten. Christoph Nonn: Bismarck: Ein Preuße und sein Jahrhundert, C.H. Beck 2015, München, S. 129.
4) Ernst Engelberg: Bismarck – Sturm über Europa. Biographie. Siedler 2014, München, S. 468 ff.
5) Nonn, S. 345
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